Wissenschaft & Forschung

Molekulares Spurenlesen für den Wisent-Artenschutz

Wisent-Welt hilft bei der Entwicklung eines Markersystems für Populationsgenetik

Molekulare Analysen der genetischen Diversität sind ein erfolgsversprechendes Werkzeug für das Management zum Schutz bedrohter Arten. Der Wisent wurde durch erhebliche Artenschutzbemühungen Anfang des 20. Jahrhunderts vor dem Aussterben bewahrt. Die heutige globale Population stammt von insgesamt nur zwölf Gründertieren, wodurch die Art einen starken genetischen Flaschenhals durchlaufen hat. Zwar ist die Population durch eine erfolgreiche Erhaltungszucht und Wiederansiedelungen in angestammten Regionen wie dem Rothaargebirge, wieder auf weltweit mehr als 8.400 Individuen herangewachsen, ist aber weiterhin bedroht durch eine sehr niedrige genetische Vielfalt und Inzucht.

Verursacht durch diese niedrige genetische Vielfalt, versagen traditionelle molekulare Methoden für die Bewertung von genetischer Diversität oder für Verwandtschaftsanalysen erforderliche Auflösung für diese Art zu leisten. Dies hat genetische Untersuchungen, für das Management in Menschenobhut oder das nicht-invasive Monitoring von ausgewilderten und isolierten Populationen stark erschwert. Mit einer Studie hat Biologe Gerrit Wehrenberg im Rahmen seiner Masterarbeit (Goethe-Universität Frankfurt und Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt) ein sogenanntes SNP-Panel für nicht-invasiver Proben vom Wisent mit niedriger DNS-Qualität entwickelt. Solche Proben können Umweltspuren der Tiere wie Dung, Urin, Speichel oder Haare darstellen. Diese können nun beispielsweise von Nationalpark-Rangern im Feld gesammelt und anschließend im Labor analysiert werden, um so über Ihren Verursacher Aufschluss zu geben. So kann man die Tiere effektiv monitoren, ohne sie fangen, narkotisieren oder auch nur stören zu müssen – schließlich ein Primärziel von Auswilderungen.

Gerrit Wehrenberg bei der Laborarbeit (Foto: Anouk Ebenezer)

Gerrit Wehrenberg bei der Laborarbeit (Foto: Anouk Ebenezer)

Proben der DNS-Extraktion (Foto: Anouk Ebenezer)

Proben der DNS-Extraktion (Foto: Anouk Ebenezer)

 

Insgesamt 96 Stellen im Genom der Wisente, sogenannte SNPs (gesprochen „Snips“ für Einzelnukleotid-Polymorphismen; engl.: single nucleotide polymorphisms), sind zu dem neuen SNP-Panel zusammengefasst und ermöglichen viele verschiedene Diagnosen und Einblicke in die Populationsgenetik der Wisente, die für die Artenschützer entscheidende Bedeutung haben. Nun kann man nur mit zum Beispiel einer Kotprobe das Geschlecht, die Eltern oder die genetische Diversität des Tieres bestimmen. Für artenschutzrelevante Entscheidungen, sowohl für die Erhaltungszucht in Menschenobhut oder bei ausgewilderten Beständen, sind solche Stammbaumrekonstruktionen oder die Untersuchung der genetischen Diversität von zentraler Bedeutung. Mit dem genetischen Fingerabdruck der Tiere kann man auch etwa individuelle Wanderbewegungen nachvollziehen oder Populationsgrößen abschätzen. Seit der Gründung der Artenschutzbemühungen vor rund 100 Jahren ist die Trennung der sogenannten Flachlandlinie und der Flachland-Kaukasus-Linie, welche genetisches Material des mittlerweile ausgestorbenen Bergwisents aus dem Kaukasus innehat, ein zentraler Grundsatz für das Management.

Die Wisente im Rothaargebirge gehören letzterer Zuchtlinie an. Anhand des neuen SNP-Panels lassen sich die Individuen diesen beiden Zuchtlinien zuordnen, selbst wenn es sich um Hybride beider Linien handelt. Um im Feld genommene Proben von anderen Arten, wie dem genetisch ähnlichen Hausrind oder anderen Wildtieren unterscheiden zu können, erlaubt das SNP-Panel das Bestimmen anderer Spezies. Zusätzlich zur Entwicklung des Markerpanels, hat Wehrenberg eine optimale Methode für das Sammeln, Lagern und die DNS-Extraktion von und aus Wisentdung erstellt, welches den optimalen Probentyp im Freiland darstellt, da ausgewachsene Wisente täglich unglaubliche 5 – 7 kg Dung ausscheiden. Um eine für die globale Population repräsentative Probensammlung zu garantieren, haben europaweit 37 Zoos, Wildparks und andere Kooperationspartner über 1600 Einzelproben von etwa 300 Wisent-Individuen beigetragen. Davon konnte Wehrenberg im Rahmen seiner Masterarbeit 137 Wisente sowohl aus menschlicher Obhut, als auch aus der Wildnis erfolgreich analysieren.

Auch die Wisent-Welt steuerte Proben von sowohl der freien Herde, als auch der Gehegeherde bei, die Wisent-Wildnis am Rothaarsteig, die von der wissenschaftlichen Koordinatorin Kaja Heising und dem ehrenamtlichen Unterstützer Reinhard Stark beprobt wurden. Aus derselben Probensammlung konnte Wehrenberg außerdem 116 Individuen zehn weiterer teils exotischer Rinderarten wie Wasserbüffel, Anoas oder Yaks analysieren. So konnte der Biologe feststellen, dass grundlegende Anwendungen des SNP-Panels, wie der Geschlechtsbestimmung und der Individualisierung über nicht-invasive Proben auch für Amerikanische Bisons, Hausrinder und asiatische Gaure sowie Bantengs funktionieren. So kann das ursprünglich strikt für Wisente entwickelte SNP Panel ohne Anpassungen in basalen Fragestellungen für teilweise ebenfalls naturschutzrelevante Wildrindarten sofort angewendet werden.

Wehrenbergs entwickelte Methode ist für Artenschützer vor allem da hilfreich, wo Individuen nicht mehr auseinandergehalten werden können, da – anders als in Zoos und Gehegen – der menschliche Kontakt fehlt. In den meisten Wisentgebieten fehlt es (noch) an Korridoren, die den Tieren erlauben, sich selbstständig durch Abwanderung auszutauschen. Durch Wehrenbergs Methode können die genetisch geeigneten Individuen für den Austausch räumlich getrennter freier Populationen gezielt ausgewählt werden. Bei einem funktionierenden Monitoring wäre es mit dem Panel sogar möglich „natürlichen“ Genfluss, also die Verpaarung zwischen unterschiedlichen Herden und Metapopulationen nachzuvollziehen.

Durch die niedrigen Kosten, die hohe molekulare Auflösungskraft, als auch die Anwendbarkeit für verschiedenste Probentypen, kann das neue SNP-Panel wichtige Aufgaben in den aktuellen Artenschutzbemühungen zum Wisent bewältigen. Dazu gehört ein präzises genetisches Monitoring von wiederausgewilderten Herden, als auch der molekulare Vergleich mit den ältesten Zuchtbuchdaten einer bedrohten Art die mehr als 100 Jahre zurückreichen. Letzteres ermöglichte eine unvergleichbare Gelegenheit dieses neuentwickelte genetische Werkzeug mit bereits vorhandenen Daten abzugleichen. Derzeit wird an einer peer-reviewten Publikation in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift der Studie gearbeitet. Auf einer internationalen Fachkonferenz in Frankfurt am Main traf die Studie bereits auf Interesse.

Außerdem wird dieses neue SNP-Panel zum erstmaligen Monitoring wilder Populationen, zurzeit im Rahmen der aktuellen Auswilderungen in Rumänien eingesetzt (WWF Rumänien, Rewilding Europe und der Romanian Wilderness Society (EU-Life-Projekt)), wohin bereits Nachzuchten aus der Wisent-Wildnis am Rothaarsteig ausgewildert wurden. So konnten die Proben der Bad Berleburger Wisente einen wichtigen Beitrag für dieses Forschungsprojekt mit direkter Anwendung im Artenschutz für die freien Verwandten auch außerhalb von Deutschland leisten. Aufgrund seiner geringen genetischen Diversität und der mangelnden Korridore zwischen seinen Lebensräumen bedarf der Wisent weiterhin an intensivem Management. Wehrenbergs Ergebnisse tragen einen wichtigen Teil zum erfolgreichen Erhalt und zur kontinuierlichen Vermehrung dieser Art bei.

Diese erfolgreiche Kooperation zwischen Artenschutz, Wisenthaltern und wissenschaftlicher Forschung zeigt erneut die Wichtigkeit solcher Einrichtungen wie der Wisent-Welt Wittgenstein e.V., Ihrer Arbeit und der engen Zusammenarbeit mit Partnern im Kampf gegen den weltweit zunehmenden Verlust von Biodiversität.