Einst streiften die Wisente durch die Wälder und Offenlandflächen Eurasiens. Doch Zerstörung ihres Lebensraums und Bejagung führte zum Aussterben des zurzeit größten Landsäugetier Europas in freier Wildbahn. Allerdings überlebten einige Individuen in europäischen Wildparks und Zoos.
Schon im Jahr 1923, vier Jahre bevor der letzte freilebende Wisent im Kaukasus getötet wurde, gründete sich in Berlin die “Internationale Gesellschaft zur Erhaltung des Wisents”. Das Ziel dieser Gesellschaft war eine länderübergreifende Zusammenarbeit, die den Erhalt der bedrohten Art gewährleisten sollte. Nachdem zunächst alle noch lebenden Wisente registriert wurden, wurden 12 Tiere aus dem Berliner und Budapester Zoo als Gründer für eine neue Population in Europa ausgewählt. Und die Bemühungen waren erfolgreich: im Jahr 2024 gab es wieder um die 9500 Wisente, 7000 davon in Freiheit. So entwickelte sich innerhalb von 100 Jahren der Status des Wisents von “in der Natur ausgestorben” zu “potentiell gefährdet”, was nur durch Etablierung zahlreicher europäischer Artenschutzprojekte möglich war.
Als Nachfolger der Internationalen Gesellschaft zur Erhaltung des Wisents wurde im Jahr 2005 die “European Bison Friends Society” gegründet, deren Mitglieder sind unter anderem WisentzüchterInnen, FörsterInnen, Forschende und VeterinärInnen. Heutzutage koordiniert die EBFS, welche an der Universität Warschau ansässig ist, Bildungs – und Ausbildungsprogramme sowie Forschung und Beratung zum Thema Wisent.
Eine besondere Herausforderung der Wisentzucht ist die Trennung der Unterarten. Es soll nämlich nicht der Wisent an sich erhalten werden, sondern jeweils der Flachlandwisent und Bergwisent.
Elf der Zwölf Gründertiere gehörten der sogenannten Flachland-Linie an und nur ein einzelner Bulle mit dem Namen “Kaukasus” vertrat die die Unterart des Bergwisents.
Um die somit sehr seltenen Gene der Bergwisente zu erhalten, wurde Kaukasus mit Kühen der Flachland-Linie gekreuzt, wodurch die Flachland-Kaukasus-Linie entstand. So ergaben sich zwei verschiedene Zuchtlinien, die nicht miteinander gekreuzt werden dürfen, um die Reinheit der Unterarten zu erhalten. Denn nur die reinen Arten gelten als geschützt. Sogenannte “Hybride”, z.B. aus Flach – und Bergwisent, Wisent und Bison oder Wisent und Hausrind, sind nicht zum Arterhalt geeignet.
In der Populationsbiologie beschreibt der sogenannte “Flaschenhalseffekt” den Rückgang der genetischen Vielfalt einer Population. Dies wird meist von Naturkatastrophen ausgelöst, welche die Größe der Population drastisch verkleinern. So gehen besonders seltene Gene der Ursprungspopulation verloren und der Genpool der übriggebliebenen Population kann sich erheblich vom früheren Genpool unterscheiden. Als Folge der geringeren genetischen Vielfalt kann Inzucht und damit potentiell eine geringere Resistenz gegenüber Krankheiten auftreten. Der Flaschenhalseffekt kann jedoch auch zur Gründung einer neuen Population führen, und z.B. im Falle der “Darwin Finken” auf den Galapagos-Inseln, neue Arten hervorbringen.
Im Fall der Wisente, da die neue Population nur auf 12 Tieren basiert, tritt ebenfalls ein Flaschenhalseffekt auf. Daher ist es sehr wichtig, dass zwischen den verschiedenen Wisentprojekten Europas regelmäßiger Austausch besteht und besonders die Bullen unter den Zuchtgehegen ausgetauscht werden.
Dank der Bemühungen der europäischen Wisentprojekte ist es gelungen, die genetische Vielfalt und damit die Gesundheit der Tiere zu erhalten. Aktuelle Studien zeigen, dass bisher keine schwerwiegenden genetischen Schäden aufgetreten sind und die Lebensfähigkeit der Populationen bei korrektem Management nicht beeinträchtigt ist.